Im schlimmsten Fall könnte es für Daimler richtig teuer werden. Schon zwei Mal war Nokia mit seiner Unterlassungsklage wegen Patentverletzungen vor deutschen Landgerichten erfolgreich. Würde das Urteil vollstreckt, dann wäre die komplette Produktion lahmgelegt. Dass es bisher nicht dazu gekommen ist, liegt an den hohen Sicherheitsleistungen, die die Richter von Nokia eingefordert haben. Über sieben Milliarden Euro müsste das Unternehmen hinterlegen, um gegen Schadenersatzforderungen von Daimler gewappnet zu sein – für den Fall, dass die nächsthöhere Distanz zugunsten des Autobauers entscheidet. Dieses Risiko will der finnische Mobilfunkspezialist bisher nicht eingehen.
Es steht viel auf dem Spiel in diesem "Connected-Cars-Streit", der schon seit Jahren in vielen Verfahren mit unterschiedlichen Konstellationen ausgetragen wird und nun vom Landgericht Düsseldorf dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Entscheidung vorgelegt wurde. Im Kern geht es um die Frage, wie sogenannte standardessentielle Patente (SEP) auf Funktechnik wie 4G oder 5G zur Verfügung gestellt und vergütet werden sollen. Ohne diese Technologie kommt heute kein Auto mehr aus. Die schnelle Anbindung an das Internet ist beim Notruf eCall ebenso unerlässlich wie beim automatisierten Fahren oder einem Navigationssystem mit Verkehrsdaten in Echtzeit. Es geht aber nicht nur um die Autobranche allein. Denn in Zukunft wird jeder Roboter in einer Fabrik, jede Kaffeemaschine und jeder Lichtmast an das Internet der Dinge angeschlossen sein. Ein Milliardenmarkt.
Nokia vertritt dabei die Ansicht, frei entscheiden zu können, ob die Lizenzen an Daimler als Hersteller des Endprodukts oder aber an die Zulieferer vergeben werden, die beispielsweise das verwendete Telematikmodul herstellen. Bemisst sich die Gebühr für die Patente am Endprodukt, ist dies natürlich lukrativer. Auch Smartphonehersteller wie Apple sahen sich in den vergangenen Jahren einer Klagewelle ausgesetzt. Während andere Autohersteller zum Teil eine Lizenz abgeschlossen haben, lehnt der Daimler-Konzern dies kategorisch ab. "Wir sind der Auffassung, dass einem Unternehmen die Nutzung von solchen Patenten nicht untersagt werden kann, wenn gleichzeitig seine Lieferanten zur Lizenznahme bereit sind", sagte ein Daimler-Sprecher der Automobilwoche.
Conti will Komponenten breit einsetzen
Schützenhilfe bekommt der Konzern dabei von Lieferanten wie Continental, die genau solche Module herstellen. Der Zulieferer fungiert in diesem Fall als Streithelfer, weil auch er eine grundsätzliche Klärung wünscht. "Wenn mehrere Wettbewerber gemeinsam einen Standard definieren, dürfen ihre Lizenzierungsregeln zu Patenten den freien Wettbewerb schon aus kartellrechtlichen Gründen nicht beschränken", sagt Roman Bonn, Rechtsexperte bei Continental. Aus diesem Grund habe auch das Bundeskartellamt den Gerichten empfohlen, den Streit dem EuGH für ein Grundsatzurteil vorzulegen.
Zwar gibt es Vorgaben für die so genannten SEPs, doch diese sind schwammig formuliert. So sind die Inhaber lediglich verpflichtet, diese zu fairen, angemessenen und nicht diskriminierenden Bedingungen (FRAND) an potenzielle Nutzer des Standards zu lizenzieren. Wie genau diese definiert werden, wurde bisher nicht beantwortet. "Dass es sich die Gerichte bei dem Patentstreit nicht leicht machen", dürfte auch an den wirtschaftspolitischen Dimensionen liegen", sagt Matthias Rößler, Patentanwalt bei der Kanzlei Karo IP.
Für Continental geht es dabei darum, seine Komponenten möglichst breit einsetzen zu können und nicht nur für ein einzelnes Produkt. "Wenn die Lizenzen nur an die Automobilhersteller, also für ein Endkundengerät vergeben werden, dann fallen viele Geschäftsmodelle entlang der Wertschöpfungskette weg. Denn ein von uns hergestelltes Telekommunikationsmodul lässt sich ja auf vielfältige Weise nutzen", erklärt Conti-Rechtsexperte Bonn.
"Einfluss auf Entwicklungsaktivitäten"
Sollte es hier zu Beschränkungen kommen, würde dies auch Innovationen in der Zukunft behindern. "Der Umgang mit SEPs kann einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklungsaktivitäten haben", sagt Patentanwalt Rößler. Denn über die Lizenzen könnten Unternehmen wie LG, Samsung oder Huawei, die etwa bei 5G stark vertreten sind, Preise für Technologien etwa im Bereich Smart Home mitbestimmen. Dies könne nicht im Interesse der innovationsgetriebenen Unternehmen sein – weder auf deutscher noch auf europäischer Ebene.
Für Nokia dagegen sind die Lizenzen deutlich mehr als willkommene Nebeneinnahmen. Einst war der finnische Telekommunikationskonzern bei Mobiltelefonen führend. Da das Unternehmen aber den Sprung zum Smartphone verpasst hat, spielt die Telefonsparte heute praktisch keine Rolle mehr. Andererseits ist Nokia einer der wenigen europäischen Player, der beim Aufbau von wichtigen Netzstrukturen asiatischen Anbietern wie LG, Huawei oder Samsung etwas entgegensetzen kann. "Vor diesem Hintergrund wird es darum gehen, einen effektiven und flexiblen Weg der Durchsetzung für SEPs in Europa zu finden", sagt Rößler.
Die Europäische Kommission hat zwar bereits im Jahr 2017 Prinzipien für den Umgang mit SEPs formuliert. So müsse eine Lizenzgebühr beispielsweise unter Berücksichtigung des jeweils aktuellen Mehrwerts der patentierten Technologie bestimmt werden. Ob sie dabei den von Nokia und anderen Netzausrüstern wie Ericsson favorisierten Ansatz der "Lizenzen für Hersteller von Endprodukten" bevorzugt oder den Ansatz einer "Lizenz für alle" wie von Daimler, Apple oder Intel gefordert, blieb aber offen. Hier könnte der EuGH zumindest eine Richtung vorgeben. Ein Urteil wird es aber wohl erst in ein bis zwei Jahren geben.
Lesen Sie auch:
Deutschland fällt bei Patenten zurück
Streit mit Nokia um Mobilfunk-Patente: Daimler droht womöglich Produktionsverbot
Patent-Streit zwischen Nokia und Daimler geht zum EuGH
Aus dem Datencenter:
Die weltweit 25 umsatzstärksten Entwicklungsdienstleister 2019