Es war eine schwere Geburt: Eigentlich sollte das geplante Gemeinschaftsunternehmen für Komplettsitze von VW und Brose schon im Dezember besiegelt werden. Doch die Gespräche zogen sich länger hin als gedacht. Jetzt soll der Vertrag im März unterzeichnet werden. Der VW-Aufsichtsrat stimmte dem nach Informationen der Automobilwoche auf seiner regulären Sitzung am Freitag zu. Sobald das Kartellamt zugestimmt hat, soll der neue Komplettsitzriese an den Start gehen.
An dem neuen Gemeinschaftsunternehmen sollen VW und der fränkische Zulieferer Brose jeweils genau 50 Prozent halten. VW bringt seinen Sitzhersteller Sitech ein, der fränkische Zulieferer Brose steigt dort im Gegenzug mit 50 Prozent ein. Bereits im Juli 2020 hatte VW und Brose das neue Gemeinschaftsunternehmen angekündigt. Damals hatte es noch geheißen, die Vertragsunterzeichnung sei für Ende 2020 geplant.
Gemeinsam in die Top 3
Ziel sei es, einen schlagkräftigen Anbieter zu schaffen, der nicht nur VW beliefert, hieß es damals. "Die Sitech wird damit als Teil des neuen Gemeinschaftsunternehmens zum global Player weiterentwickelt." Mit dem Zusammenschluss entstehe ein neuer Anbieter, der im Markt weit oben mitspielen könne, sagte Brose-Chef Ulrich Schrickel im August im Interview mit der Automobilwoche.
Man werde zwar nicht sofort zu den ganz Großen am Markt gehören, wolle aber schnell wachsen und ganz gezielt auch Kunden außerhalb des VW-Konzerns suchen, sagte Schrickel. "Wir wollen langfristig zu den Top 3 Anbietern im Sitzmarkt gehören." Bisher dominieren den Weltmarkt Unternehmen wie Adient, Lear und Faurecia.
Autonomes Fahren ändert Anforderungen an den Autositz
Während VW vor allem die Erfahrung bei der Herstellung von Komplettsitzen in die Kooperation einbringt, steuert Brose sein Know-how bei Verstell- und Komfortkomponenten ein. "Brose verbindet mechatronische Produkte mit Sensorik und Software. Sitech ist sehr gut aufgestellt in der Entwicklung von Komplettsitzsystemen", sagte Schrickel. Daraus wolle man nun gemeinsam ein Joint-Venture mit globaler Aufstellung und Schlagkraft schaffen.
Grund für die Entscheidung von VW seien die neuen Herausforderungen, vor denen der konzerneigene Sitzlieferant Sitech stehe, hieß es in Wolfsburg. Denn durch das autonome Fahren würden sich auch die Ansprüche an den Innenraum und vor allem an die Sitz dramatisch wandeln. Denn wenn das Auto dem Fahrer immer mehr Aufgaben abnehme, ändere sich auch das Sitzverhalten im Auto und damit die Anforderungen an die Bestuhlung der Fahrzeuge. Um dem gerecht zu werden, sei Sitech allein schlicht zu klein. Der Zusammenschluss mit Brose biete dagegen die Chance, sogar zu einem der führenden Lieferanten auch für andere Hersteller aufzusteigen.
VW sichert Mitbestimmung ab
Der Zusammenschluss hatte zuletzt vor allem bei den Sitech-Mitarbeiter für Befürchtungen gesorgt. Bereits bei der Unterzeichnung der Absichtserklärung im vergangenen Sommer war ihnen eine Beschäftigungssicherung bis 2029 zugesagt worden. Zusätzlich wurde jetzt vereinbart, dass wichtige Entscheidungen im Aufsichtsrat des Gemeinschaftsunternehmens nur mit Zweidrittelmehrheit beschlossen werden können – also nicht gegen die Stimmen von VW. Neben Technikvorstand Thomas Schmall soll auch die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Betriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo für VW in das Gremium einziehen.
Dadurch, so hieß es in Wolfsburg, wolle man sicherstellen, dass Sitech auch in Zukunft im VW-Konzern verankert bleibe. Am Ende gaben auch die Betriebsräte Entwarnung: Von einer "Übernahme" durch Brose könne keine Rede sein, Sitech bleibe Teil der VW-Familie.
Sitech hat rund 5000 Mitarbeiter an sechs Standorten in Deutschland, Polen und China. Broses Sitzsparte hat 24 Standorte in zwölf Ländern mit zusammen 8000 Mitarbeitern. Während Sitech bisher fast ausschließlich an VW und Töchter wie Audi, Skoda, Seat und Porsche liefert, entwickelt und produziert die Brose-Sitzsparte Sitztstrukturen und –komponenten für mehr als 50 Automobilhersteller in aller Welt.
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