Audi entflammt einen elektrischen Leuchtturm und will mit dem e-tron GT endlich ganz vorne mitmischen bei der Mobilitätswende. Deshalb sparen die Bayern nicht an großen Worten, wenn sie über den eleganten Flachmann für vier sprechen, der in diesem Tagen für Preise knapp unter 100.000 Euro in den Handel kommt: "Mit dem Audi e-tron GT bringen wir die Audi-DNA auf die Straße. Der Gran Turismo spiegelt hervorragend unsere Innovationskraft und unseren Pioniergeist wieder", sagt Markenchef Henrik Wenders. Doch nehmen die Herren der Ringe den Mund da ein wenig voll. Denn den vermeintlichen Vorsprung verdanken sie nicht ihrer Technik, sondern vor allem der Verwandtschaft mit dem Porsche Taycan. Und so ganz groß wird der Marktanteil bei einer Jahresproduktion im "hohen vierstelligen Bereich" auch nicht werden. Porsche hat vom Taycan im ersten Jahr gut doppelt so viele Exemplare verkauft und Tesla schafft das mit dem Model S in etwa einem Monat.
Wenn der GT tatsächlich einen Vorsprung hat, dann ist das beim Design. Denn während Audi das elektrische Skateboard aus Batterie und Motoren unter der Karosserie nahezu unverändert vom Taycan übernommen, haben die Bayern den Viertürer drum herum komplett neu eingekleidet. Und während er von vorn trotz des geschlossenen Grills fast noch gewöhnlich aussieht, steigt die Aufmerksamkeit, je weiter man um das Auto herumgeht. Schon die Flanke des Flachmanns hat eine bei Audi seit dem ersten TT nicht mehr erreichte Finesse und das Heck strahlt eine fast magische Anziehungskraft auf die Augen und die Hände aus. Nicht nur, dass man kaum mehr den Blick anwenden kann. Sondern man möchte diese Kehrseite buchstäblich tätscheln, so muskulös und verführerisch steht der GT auf der Straße. Selten hat der Audi A7 so alt ausgesehen, obwohl er doch erst zwei Jahre auf dem Buckel hat.
Innen verblasst die Faszination
Innen allerdings verblassen die Frische und die Faszination ein wenig. Zwar wirkt der GT liebevoller verarbeitet als jeder Tesla und hat die feineren Materialien. Doch wo die Amerikaner genau wie Porsche mit einem cleanen, radikal reduzierten neuen Look den Aufbruch in die nächste Ära signalisieren, wirkt das Cockpit des e-tron GT ziemlich zerklüftet und ist obendrein viel zu nah an A8 & Co. Was vielleicht auch daran liegen mag, dass die konventionelle Oberklasse-Riege der Bayern bereits ziemlich progressiv geraten ist. Doch das Ergebnis beim E-Tron ist eine Bedienlandschaft, in der sich der Blick zwischen den großen Bildschirmen, einem Rest von Schaltern und unzähligen Zierkonsolen zu verlieren scheint.
Und auch die Hinterbänkler könnten sich nach einem A7 oder A8 sehen. Denn für seine 4,99 Meter Länge und 2,90 Meter Radstand bietet der GT in der zweiten Reihe keine erstklassigen Platzverhältnisse. Immerhin hat Audi die so genannten Fußgaragen übernommen, die Porsche in die Batterie geschnitten hat, damit man auch mit Schuhgröße 42 plus eine Chance hat. Dafür allerdings gibt's genügend Stauraum: 405 Liter im Heck und nochmal 80 im Bug stempeln den GT zur Reiselimousine.
Dazu passt auch das von Audi deutlich entschärfte Setup für Fahrwerk und Lenkung. Ohne dass der GT lustlos und lasch wirken würde, macht er einen sehr viel ausgewogeneren und komfortableren Eindruck als der Porsche und damit getreu dem Gran Turismo-Gedanken Lust auf die Langstrecke. Fahren, so lange der Akku Reicht – das ist in diesem Auto eine immerwährende Versuchung. Und bei einer Nettokapazität von 86 kWh kann das ganz schon weit reichen. Bis zu 488 Kilometer, um genau zu sein und die WLTP-Protokolle zu zitieren.
Bis zu 830 Nm Drehmoment
Dabei bietet schon die Standard-Version mit zwei für den obligatorischen Allradantrieb an beide Achsen gerückten Motoren solide 350 kW Leistung, die im Overboost für 2,5 Sekunden auf 390 kW angehoben wird. Und wer für mindestens 138.200 Euro die RS-Version bestellt, der kann mit 440 und 475 kW punkten. Bei einem maximalen Drehmoment von 630 Nm für den kleinen und 830 Nm für den großen GT reicht das für Sprintwerte von 4,1 oder 3,3 Sekunden und wo für die anderen e-tron spätestens bei 200 Sachen Schluss ist, bekommt der GT Auslauf bis 240 und der RS sogar bis 245 km/h.
Schnell ist der e-tron GT aber nicht nur auf der Straße, sondern auch an der Steckdose: Am Wechselstromanschluss mit bis zu 22 und bei Gleichstrom mit maximal 270 kW geladen, sind die ersten 80 Prozent der Batterie unter idealen Bedingungen in 23 Minuten wieder voll. Den Strom für 100 Kilometer zapft der e-tron GT damit binnen fünf Minuten.
Den Sportsound kann man sich sparen
Ein Punch wie ein Preisboxer und auch beim Rasen Ruhe – wer sich die 500 Euro für den eher albernen "e-tron Sportsound" spart, erlebt den GT als ebenso sportlichen wie souveränen Stromer, der aber auch Freunde des Verbrenners nicht überfordert. Den nicht nur das Fahrgefühl ist weniger entrückt und steril als bei vielen anderen Elektroautos und allen voran bei Tesla. Sondern auch beim Bremsen bietet der Audi ein bewährtes Gefühl. Zwar gewinnen die Herren der Ringe natürlich ebenfalls die Bremsenergie zurück, zwingen den Fahrer dafür aber zur Nutzung des Bremspedals und starten die Rekuperation nicht schon beim Lupfen des Gaspedals. Das klassische One-Pedal-Feeling bietet der GT damit nicht.
So hübsch Auto den Taycan neu eingekleidet und so wohlig weich die Herren der Ringe den strammen Vetter abgestimmt haben, bleibt der elektrische Hoffnungsträger aus Ingolstadt im Grunde trotzdem ein Porsche. Das ändert aber nichts am Selbstbewusstsein der Bayern: Weil sie auf ein Basismodell mit Heckantrieb verzichten, liegt der Einstiegspreis für den e-tron fast 20.000 Euro über dem Original.
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