Ein halbes Jahr lang haben beide Seiten zäh verhandelt, am Ende sprachen Frank Deiß, Leiter der Antriebseinheit von Mercedes, und der örtliche Betriebsratschef Michael Häberle von einem "historischen Tag". Das Daimler-Motorenwerk Untertürkheim, das zu den ältesten Standorten im Konzern zählt und von der Transformation so stark betroffen ist wie kaum ein anderes, soll in Zukunft konsequent auf die Elektromobilität ausgerichtet werden. Dafür investiert das Unternehmen einen dreistelligen Millionenbetrag.
Zentraler Bestandteil des umfangreichen Pakets ist die Ansiedlung einer kleinen Batteriezellfertigung auf dem sogenannten Drive Systems Campus. Sie soll 2023 in Betrieb gehen und die bisherigen Forschungen zu Batterien ergänzen. Dadurch werden zusammen mit der Batterieforschung 120 Arbeitsplätze neu geschaffen. Zwar sei aktuell noch nicht angedacht, eine eigene Zellfabrik bei Daimler aufzubauen. Das Unternehmen bezieht diese von Zulieferern wie CATL. Aber für zukünftige Zellgenerationen ist dies anders als früher auch nicht mehr ausgeschlossen. "Wir trauen uns das in Deutschland zu und arbeiten an diesem Themenfeld", sagte Häberle in einer Videokonferenz mit Journalisten.
Außerdem soll die Montage von Teilen des elektrischen Antriebsstrangs (eATS) für künftige EQ-Modelle Ende 2024 starten. Das Produktionsvolumen werde dabei verdoppelt. Die Antriebssysteme sind für eine neue Generation von Kompaktfahrzeugen gedacht, die erstmals auf einer rein elektrischen Plattform MMA basieren. Hiervon profitiert beispielsweise auch die Gießerei im Werk, die im Zuge der Transformation wiederholt in Frage gestellt wurde. Auch die Fertigung von Batteriesystemen werde ausgeweitet. Die nächste Generation von Elektromotoren entwickelt Daimler außerdem selbst. Diese könnten dann ebenfalls in Untertürkheim gefertigt werden, wenn dies wirtschaftlich darstellbar sei.
Voll ausgelastet mit Verbrennungsmotoren
Umgekehrt werden die Stückzahlen bei den konventionellen Antrieben schrittweise reduziert, wenn die Nachfrage nicht mehr da sei. Neue Umfänge würden eingehend geprüft, um die maximale Effizienz und Profitabilität des Standorts zu maximieren. Die von den Arbeitnehmern ursprünglich geforderte Kurbelwellenproduktion wird von diesem Jahr an ins polnische Motorenwerk Jawor verlagert. Im Gegenzug kommt nach Untertürkheim die Fertigung von Kurbelgehäusen. "Wir brauchen diese Umfänge, um die Beschäftigten während der Transformation auf die neuen Aufgaben vorbereiten zu können", sagte Häberle.
Zwar sei das Werk derzeit noch voll ausgelastet mit der Fertigung von Motoren. Zudem sollen auch Teile des gemeinsam mit Geely geplanten Vierzylinder-Motors speziell für Hybridfahrzeuge nach Untertürkheim kommen. Mit der immer schärferen Abgasregulierung der Europäischen Union könnte sich der Hochlauf der Elektromobilität allerdings nochmals deutlich beschleunigen. Wann bei Daimler Schluss ist mit Verbrennungsmotoren, wollte Deiß nicht sagen. "Wir sind mit unserer Strategie Electric First darauf vorbereitet, aber am Ende entscheidet dies der Markt." Die Motorenpalette werde derzeit auf die Abgasnorm Euro 7 vorbereitet, aber nicht mehr in Neuentwicklungen investiert. Wichtig sei die Fokussierung des Kapitals auf CO2-neutrale Investitionen, sagte Daimler-Entwicklungschef Markus Schäfer.
Klar ist, dass sich der Wandel auf die Beschäftigung auswirken wird. Von den 4000 Stellen allein für Untertürkheim, die der Betriebsrat während der Verhandlungen ins Spiel gebracht hatte, war nicht mehr die Rede. Trotzdem werde es "personelle Anpassungen" geben, wie das Unternehmen mitteilte. Eine Reduzierung soll laut Deiß über den Wechsel an andere Standorte innerhalb des Unternehmens sowie ein Abfindungsprogramm erreicht werden. Zudem wurde eine Leiharbeiterquote von 15 Prozent vereinbart, mit der sich Deiß die nötige Flexibilität für Schwankungen in der Nachfrage sichern will. Bisher waren acht Prozent vereinbart. Außerdem sollen viele Mitarbeiter für neue Aufgaben in der Elektromobilität geschult werden. Wie schnell diese sich durchsetzt, entscheidet über die genaue Anzahl der verbleibenden Jobs.
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